Volksentscheid (13.02.2011) - Oft gestellte Fragen
Geheime Vertragsteile, Beschlüsse und Nebenabreden - was ist das?
Die Verträge zur Teilprivatisierung sind bereits vollständig veröffentlicht, heißt es in einer Stellungnahme des Senats. Die Initiatoren des Volksentscheids sind sich sicher, dass es noch zahlreiche geheime Unterlagen gibt, in denen Beschlüsse, Nebenabreden und vertragszugehörige Anlagen zu finden sind. Zu dem Thema befragt Ulrike von Wiesenau vom Berliner Wassertisch, gleichzeitig Sprecherin des Volksentscheids, Carl-Friedrich Waßmuth, Beratender Ingenieur für das Bauwesen und Infrastrukturexperte vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB).
Ulrike von Wiesenau: Herr Waßmuth, was können Sie als Beratender Ingenieur zu solchen Vertragsfragen überhaupt sagen?
Carl-Friedrich Waßmuth: Ich bin kein Jurist, aber es gehört durchaus zu meinem Berufsfeld, meine Kunden auch vor bestimmten Vertragsfolgen zu schützen. Im Zuge meiner Arbeit bin ich zum Beispiel auch mit Endabnahmen von Bauwerken befasst, für die Public Private Partnership (PPP) vereinbart wurde. Da ist es dann meine Aufgabe, statt der üblichen fünfjährigen Gewährleistung 30 Jahre bis zur Rückübergabe durch die privaten Partner zu antizipieren. Die Prüfung und Freigabe der technischen Bauwerksunterlagen mit diesem Zeithorizont gehört dann zu meinen Aufgaben. Dieses Vorgehen ist bei allen PPP-Projekten gleich. Beim Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe (BWB), auch ein PPP-Projekt, ging es im Grundsatz ganz genauso zu.
Ulrike von Wiesenau: Kennen Sie in diesem Zusammenhang Nebenabreden? Wenn ja, was soll das sein?
Carl-Friedrich Waßmuth: Es steht meiner Kenntnis nach nirgendwo
geschrieben, dass neben einem Konsortialvertrag nicht weitere
Verabredungen getroffen werden dürfen. Das wäre auch praktisch nicht
sinnvoll. Bezogen auf das Firmengeflecht beim Teilverkauf der BWB
halte ich es geradezu für undenkbar, dass man bis heute mit den paar
hundert Seiten ausgekommen ist. Ich will Ihnen ein paar Beispiele
geben, die an sich überhaupt nichts verwerfliches an sich haben:
RWE und Veolia sind ja beide keine typischen Investoren, die nur Geld
geben und sich um weiter nichts kümmern wollen. Die sind beide
international im Wassergeschäft, haben jede Menge eigene Expertise. Nun
nehmen wir mal an, es kommt bei den BWB ein technisches Problem auf,
und Veolia sagt: Dafür haben wir eine Lösung, das haben wir bereits
für die Stadt xy entwickelt. Die können wir euch zur Verfügung
stellen. Nicht völlig gratis, aber auch nicht überteuert. RWE muss uns
da was dazugeben, denn die profitieren ja auch davon, und ausserdem
wollen wir unsere Rechte gesichert haben. Und die BWB geben uns auch
was. Machen wir einen kleinen Extra-Vertrag, im Konsortialvertag steht
dazu nix, weil man das damals noch gar nicht absehen konnte. Den
Konsortialvertag selbst zu ändern wäre völlig unverhältnismäßig im
Aufwand. Schwupps haben Sie etwas, was ich Nebenabrede nennen würde.
Davon gibt es sicher Dutzende. Inhaltlich möglicherweise einwandfrei,
nur nicht die Geheimhaltung.
Oder andersherum: Veolia sagt, wir sehen ja hier, wie das in Berlin
mit der Uferfiltration klappt. Das ist enorm günstig und effizient. In
Spanien ist das Wasser knapp, die flehen uns an, ihnen in Sachen
Entnahme von Oberflächenwasser zu helfen. Es macht keinen Sinn, dass
die BWB sich jetzt in Spanien selbst engagieren, das birgt ja auch
eigene Risiken. Andererseits gehören den BWB gewisse Rechte an den
Technologien der hiesigen Uferfiltration, das dürfen wir nicht so
unter der Hand weiterverhökern. Also machen sie einen Vorschlag: Wir
geben euch etwas Geld, RWE geben wir meinetwegen auch was, und zwar
dafür, dass wir das mit der Berliner Uferfiltration den Spaniern
weiterverkaufen dürfen, alle damit verbundenen Risiken tragen wir
selbst. Schwupps haben Sie die nächste Nebenabrede.
Es gibt noch mehr Gründe für Nebenabreden: Die Gesetzesgrundlage
ändert sich oder bei den Vertragspartnern selbst ändern sich
grundlegende Dinge. Das alles fließend zu begleiten und nicht aufgrund
fehlender Vereinbarung alles zum halten zu bringen, halte ich für
normal und würde ich auch nicht kritisieren. Die Geheimhaltung ist der
Knackpunkt, denn nur dann kann die Öffentlichkeit prüfen, ob ihre
Interessen ausreichend gewahrt werden.
Ulrike von Wiesenau: Inwiefern können denn Beschlüsse rechtlich relevant sein?
Carl-Friedrich Waßmuth: Mit den Beschlüssen sind wohl Beschlüsse von Gremien jenseits des Abgeordnetenhauses gemeint. Beschlüsse vom Abgeordnetenhaus sind ja öffentlich, auch wenn es trotzdem 11 Jahre gelungen ist, den Konsortialvertrag und seine Änderungen geheim zu halten. Es gibt aber ein aktives ?Leben? der zuständigen Senatsverwaltung, der Gremien der Wasserbetriebe, der Holding etc. Dabei werden auch zu aktuellen Fragen, teilweise gemeinsam mit den privaten Partnern - soweit Übereinstimmung herrscht - Beschlüsse gefasst. Auch das ist sinnvoll und soll und muss der Aufrechterhaltung des Betriebes dienen. Wird nun einvernehmlich entsprechend eines solche Beschlusses auch gehandelt, ist ein Vertrag zustande gekommen, Juristen sprechen vom schlüssigen Verhalten, stillschweigender Willenserklärung oder von der konkludenten Handlung. Auch das fällt durchaus mit in meinen Fachbereich. Ich muss meine Kunden darauf hinweisen, sich hinsichtlich der Rechtsfolgen zu informieren, wenn ich in einem Beschluss ein technisches Merkmal auffinde, das sich gravierend vom vorigen oder vom geplanten Zustand unterscheidet.
Ulrike von Wiesenau: Vertragszugehörige Anlagen, was sind das?
Carl-Friedrich Waßmuth: Bei einem Gegenstand, der 30 Jahre lang den
Besitz wechselt, ist es von enormer Bedeutung, wie der Zustand der
Vertragssache zu Beginn ist und wie er am Ende sein soll. Das ist mit
ein Grund, warum PPP-Verträge nebst Anlagen hunderte Aktenordner und
zehntausende Seiten füllen. Bekommt jemand eine Sache gänzlich
verkauft, d.h. behält er sie für immer oder bis zum Weiterverkauf,
dann entfällt dieser Punkt. Wenn er zudem gekauft wie gesehen
ankreuzt, verzichtet er auf eine eingehende Dokumentation des
technischen Zustands, bestätigt sozusagen, diese selbst geprüft zu
haben. In solchen Fällen bin ich als Berater jedenfalls außen vor. Im
Fall der Wasserbetriebe gehören aber gewaltige Grundstücksflächen,
enorme technische Anlagen und auch zahlreiche Technologien zu der
Transaktion von 1999. Da gibt es weder ein gekauft wie gesehen noch
ein verkauft wie gesehen. Das muss umfangreich beschrieben worden
sein, in technischen Anlagen zum Vertrag.
Die technischen Bauwerke waren ja nicht neu, sie haben den
unterschiedlichsten Wartungs- und Investitionszustand. Davon hängt
aber ihr Wert entscheidend ab. Dieser Zustand muss zum Zeitpunkt der
Teilprivatisierung festgehalten worden sein. Auch die Privaten haben
die Katze nicht im Sack gekauft, sie haben sich im Vorfeld zeigen
lassen, was Sache ist bei den Wasserbetrieben. Das waren keine
unverbindlichen Hochglanzpospekte, das waren umfangreiche
Dokumentationen, die später Basis der eigentlichen Transaktion wurden
- also Vertragsbestandteil. Angenommen der Senat hätte die Unterlagen
manipuliert, um einen höheren Verkaufpreis zu erzielen - was ich
nicht behauptet will ! - so haben die Privaten ja nur dann eine
Chance, versteckte Mängel zu beanstanden, wenn es Unterlagen gibt, auf
die sie sich beziehen können. Denn dass teilweise 100 Jahre alte
Kanalisationssysteme mangelbehaftet sind, muss allen klar gewesen
sein. Weitaus wahrscheinlicher als ein Verkauf über Wert erscheint
allerdings ein Verkauf unter Wert.
Ulrike von Wiesenau: Wie kommen Sie darauf, dass die Wasserbetriebe unter Wert verkauft wurden?
Carl-Friedrich Waßmuth: Dazu haben ja schon viele was gesagt, zuletzt
Rainer Heinrich und Gerlinde Schermer in einem sehr aufschlußreichen
Interview im Deutschen Theater am 28.01.2011.
Ein starker Hinweis, der mehr in meinen Bereich fällt, ist der reine
Wert der mitverkauften Grundstücke. Den irrwitzig niedrigen
Quadratmeterpreis kann sich ja jeder aus dem Konsortialvertrag
zusammenrechnen. Danach hätten die technischen Bauwerke selbst
überhaupt keinen eigenen Wert gehabt, was bei aller
Investitionsnotwendigkeit sicher unzutreffend ist. Jetzt wird der Wert
wieder ermittelt, weil RWE überlegt, seine Anteile zu verkaufen. Dazu
wird eine Investmentbank eingeschaltet. Es ist anzunehmen, dass jetzt
die technischen Anlagen und Grundstücke viel teurer als 1999
eingeschätzt werden. Wie auch immer: Die Investmentbank wird sich
sicher viel leichter tun, wenn sie in die Vertragsanlagen von 1999
reinschauen darf, auch wenn deren pure Existenz im Moment noch
geleugnet wird. Dann muss sie nur die letzten 11 Jahre hochrechnen.
Andernfalls müsste sie ein technisches Gutachten in Auftrag geben, das
sich gewaschen hat. Wir Ingenieure würden uns sicher freuen, das wäre
ein Millionenauftrag.
Ulrike von Wiesenau: Gehört es nicht auch zu den Verträgen, in welchem Zustand unsere Rohrnetze und so weiter zurückgegeben werden?
Carl-Friedrich Waßmuth: Für die öffentliche Hand noch viel wichtiger als der Ausgangszustand ist der Rückübergabezustand und wie er definiert wurde. Die erste Kündigungsmöglichkeit bei den BWB ist ja nach 30 Jahren. Wie sieht da alles aus, ist es intakt? Zusammen mit dem Rückübergabezustand sind auch wirksame Vertragsstrafen von Bedeutung, falls sich abzeichnet, dass davon abgewichen wird. Das einfachste und gleichzeitig auch häufigste Mittel, eine überproportionale Rendite aus einer Infrastruktur zu ziehen, ist das kaputtsparen. Siehe S-Bahn Berlin. Siehe die Wasserversorgung von London. Siehe die Londoner U-Bahn. Darum geht es eigentlich bei den geheimen Unterlagen, das wäre mir bei der Offenlegung das Wichtigste. In der unzureichenden Rückgabe liegt das größte finanzielle Risiko, aber auch das größte Risiko bezüglich auf die Verpflichtung zum Versorgungsauftrag mit unbedenklichem Trinkwasser, der bleibt ja in jedem Fall immer beim Land Berlin. Gegen das Rückübergabe-Risiko sind überhöhte Renditen gar nichts. Wenn Sie so eine Infrastruktur wie die Berliner Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung totalsanieren müssen, na dann gute Nacht. Das kann Sie - auch inflationsbereinigt ! - noch mal gut 50 Prozent oder 100 Prozent mehr kosten, als Sie mal irgendwann als Einmaleinnahme hatten.
Für Rückfragen: Ulrike von Wiesenau: 030-7814604, Carl-Friedrich Waßmuth 0179-7724334
Neun Fragen und Antworten
1. Wem gehören die Wasserbetriebe?
Die größte Teilprivatisierung innerhalb der EU fand 1999 in Berlin statt: 49,9% der Berliner Wasserbetriebe wurden für 1,68 Mrd. € über eine Holding AG verkauft. Heutige Profiteure dieser Teilprivatisierung sind RWE Aqua und Veolia Wasser.
2. Warum sind wir gegen die Privatisierung?
Seit 2004 stiegen die Wasserpreise stetig und enorm - bislang insgesamt um ca. 35%! Die Berliner zahlen im internationalen Städtevergleich die höchsten Wasserpreise, Personal wurde abgebaut, Investitionen abgesenkt und kürzlich wurden 3 Wasserwerke geschlossen, mit der Folge, dass Berlin ca. 30 km² ökologisch wichtiges Trinkwasserschutzgebiet verliert.
3. Was passiert mit den Gewinnen?
Die Gewinne landen zum größten Teil in den Taschen der privaten Konzerne, und einen kleineren Teil sackt der Senat, angeblich zur Schuldentilgung, ein. Allein im letzten Jahr mussten wir für die Teilprivatisierung 270 Millionen Euro Gewinne bezahlen: Deren Gewinne sind unsere Verluste. Darum fordern wir: Wasser ist ein öffentliches Gut. Es dürfen unserer Überzeugung nach nur die real anfallenden Kosten in die Wassertarife eingestellt werden. Gewinne, Renditen, Profite haben bei der Wasserversorgung nichts verloren!
4. Was erfolgt nach einem erfolgreichen Volksbegehren?
Nach einem erfolgreichen Volksbegehren hat der Senat eine Frist von vier Monaten, um den Volksentscheid herbeizuführen. Ein Volksentscheid gleicht einer Wahl zum Abgeordnetenhaus. Jeder Bürger erhält zusätzlich zu den Wahlunterlagen eine Argumentation, in der Wassertisch, Abgeordnetenhaus und Senat ihre Positionen darlegen.
5. Wozu brauchen wir die Veröffentlichung?
Das Prinzip ist einfach: gegen das, was nicht öffentlich ist, können wir uns nicht zur Wehr setzen. wir wollen mit unserem Gesetz erreichen, dass die Geheimverträge offiziell offen gelegt werden, um so eine unabhängige und öffentliche Prüfung zu erreichen. Und wir sind zuversichtlich, dass zentrale Passagen aus dem Vertrag, die wir durch Insider zugespielt bekommen haben, eindeutig rechtswidrig sind und wir dagegen vorgehen können.
6. Was sagen unsere Abgeordneten zu den Geheimverträgen?
Abgeordnete dürfen die Verträge nur im Datenraum (Darkroom) beim Finanzsenator einsehen. Sie dürfen sich keine Notizen machen, keine Experten einbeziehen, keine Kopien anfertigen, keine Telefonate führen. Doch das Schlimmste ist: Sie müssen zuvor eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben! Das bedeutet, sie dürfen über das, was sie gelesen haben, nicht reden. Verstoßen sie dagegen, drohen ihnen Schadensersatzklagen. Die Abgeordnete Heidi Kosche,(Bündnis90/Die Grünen) musste sogar vor dem Verfassungsgericht klagen, um die Akten einzusehen.
7. Ist mit der Novellierung des Informationsfreiheitsgesetzes nicht die Veröffentlichung wie gefordert garantiert?
Mit dem Informationsfreiheitsgesetz können die privaten Eigner gegen eine Veröffentlichung klagen, damit können Jahre vergehen. Auch ist damit nicht gesichert, dass alle Verträge veröffentlicht werden. Nach dem Gesetz kann durch Nachverhandlungen die Veröffentlichung „verschoben“ werden. Der geheime Konsortialvertrag ist nach dem Kenntnisstand der Initiatoren des Volksbegehrens mindestens fünf Mal vom Senat nachverhandelt worden und nie zuungunsten der Konzerne, sondern immer nur zu Lasten der Berlinerinnen und Berliner geändert worden.
8. Warum habt Ihr nicht gleich ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung gemacht?
Dann würde genau das geschehen, was in Potsdam passiert ist. Dort wurde teuer rekommunalisiert. Über die Verträge mit dem Konzern Suez wurde genauso Stillschweigen vereinbart wie über die Höhe der Rückkaufsumme. Doch wie wir aus eingeweihten Kreisen wissen, wurden die garantierten Gewinne in die Rückkaufsumme einkalkuliert - mit der Folge, dass die Wasserpreise in Potsdam noch höher sind als in Berlin. Wir wollen die kostengünstige Rekommunalisierung. Darum ist die Offenlegung als erster Schritt so wichtig.
9. Wozu werden Spenden gebraucht?
Wir benötigen viel Geld für Werbematerial, nach einem erfolgreichen Sammeln benötigen wir noch einmal viel Material, um in der Stadt für ein JA zum Volksentscheid zu werben. Genau so wichtig sind Zeitspenden: Informieren Sie Ihre Freunde, Nachbarn, Kollegen - jede Stimme zählt!